Auf unserer öffentlichen Veranstaltung am 9. Februar 2024 mit anschließender lebhafter Diskussion hielt ich folgendes Impuls-Referat zum Thema „Bürgerbeteiligung in einer repräsentativen Demokratie“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Politik-Interessierte,

ich möchte gleich am Anfang etwas Wichtiges anmerken: Bürgerbeteiligung in der repräsentativen Demokratie bedeutet nicht, Bürgerentscheide zu initiieren; vielmehr bedeutet es, Bürger am Entscheidungsprozess zu beteiligen und Meinungen für die Entscheidungsfindung aufzunehmen. Bürgerbeteiligung bedeutet also viel mehr: nämlich transparente Informationen, respektvolle Diskussionen und demokratische Akzeptanz. Nur so wird es in Zukunft möglich sein, einer Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und die negativen Begleiterscheinungen dieser Politikverdrossenheit auszuschalten.
Gerade sind große gesellschaftliche Umwälzungen in Gang: Extremismus, Antisemitismus, Sexismus, das alles vermischt mit Falschnachrichten und Gewalt. Die Landtagswahlen im Herbst lassen nichts Gutes erahnen. Wir müssen uns einer Gefahr von Rechts erwehren, wie ich es nicht für möglich gehalten habe.

Aber was können wir dem entgegensetzen?
Ich behaupte, eine ganze Menge. Es gibt Studien von der Bertelsmann-Stiftung, die von vielen Landesregierungen unterstützt und den Kommunen empfohlen werden, um diesen Bürgerbeteiligungsprozess in Gang zu setzen.
Auch der Städtetag Baden-Württemberg gibt eine interessante Broschüre heraus mit Empfehlungen für Bürgermeister, kommunale Verwaltungen und Gemeinderäte, wie ein solcher Prozess sinnvollerweise ablaufen könnte.

Erstens braucht es eine positive Grundhaltung.
Wer die Bürgerinnen und Bürger um Mitwirkung bei kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen bittet, muss dadurch mit innerer Überzeugung die Basis für Entscheidungen verbessern und folglich die Entscheidungsqualität erhöhen wollen. Bürgermitwirkung muss dazu seitens des Gemeinderats und der Verwaltung begrüßt und proaktiv „gelebt“ werden. Beide müssen darin einen Mehrwert auch für ihre eigene Arbeit erkennen. Alle ernsthaften Rückmeldungen und Stellungnahmen seitens der Bürgerschaft müssen als willkommene und wertvolle Beiträge zur Entscheidungsfindung behandelt werden. Dies muss selbstverständlich auch für Beiträge gelten, die sich nicht mit der eigenen Auffassung decken. Gerade der Widerstreit von Meinungen und Äußerungen ist ja das Lebenselixier jeder Demokratie.
Zur Klarstellung: Die Behandlung von Beiträgen als wertvoll muss und kann nicht immer darin bestehen, sie bei einer Entscheidung zu berücksichtigen. Eine wertvolle Behandlung von Beiträgen ist vielmehr immer dann gegeben, wenn eine vorurteilsfreie und offene inhaltliche Auseinandersetzung mit ihnen erfolgt, die in eine schlüssig begründete Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung mündet.

Zweitens: Offenheit und Transparenz
Nichts motiviert Bürgerinnen und Bürgern mehr zur Mitwirkung bei kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen als das Gefühl, dass ihre Meinungen und Beiträge willkommen sind und demgemäß als wertvoll behandelt werden. Dies erfordert innere und äußere Offenheit des Gemeinderats und der Verwaltung für jedes ernsthafte Bürgerengagement, selbst wenn es den eigenen Überzeugungen und Bestrebungen zuwiderläuft. Die Offenheit muss während des gesamten Bürgermitwirkungsprozesses erhalten bleiben; also ein ergebnisoffener Prozess.
Das sichere Gefühl, alle relevanten Informationen zu einem Sachverhalt von der Stadt zu erhalten, schafft umfassendes Vertrauen. Es entbindet den Gemeinderat und die Verwaltung von jedem Verdacht, Engagement und Interessen durch selektierte Weitergabe von Informationen gezielt in eine bestimmte Richtung lenken und damit instrumentalisieren zu wollen.
Aber: Die Bürgerschaft muss ihrerseits akzeptieren, dass Offenheit und Transparenz nicht immer uneingeschränkt praktiziert werden können. Sie finden ihre Grenzen dort, wo ihnen höherrangige Interessen von Menschen oder der Gemeinschaft – also das viel zitierte „öffentliche Wohl“ – entgegenstehen. Dies muss der Bürgerschaft allerdings gegebenenfalls dargelegt und erläutert werden. Auch das bedeutet Offenheit und Transparenz. Es genügt in solchen Fällen also nicht, den Informationsfluss einfach nur zu unterbinden, denn dies würde eine Quelle für Irritationen und Misstrauen schaffen.

Drittens: ganzheitliche Entscheidungsplanung
Was bei Baumaßnahmen selbstverständlich ist, muss auch bei jeder bedeutenden kommunalpolitischen Entscheidung der Regelfall sein: Eine ganzheitliche Planung, die den gesamten vorgesehenen Entscheidungsprozess von der Erstinformation über sämtliche Gremienbefassungen, Anhörungen und Bürgermitwirkungsmaßnahmen bis hin zum abschließenden Votum des Gemeinderats. Aus dieser Planung müssen auch etwaige Teilvoten ersichtlich sein, die alle Beteiligten im weiteren Verlauf binden und deren Handlungsmöglichkeiten damit begrenzen.
Je nach Verlauf des Entscheidungsprozesses ist diese ganzheitliche Planung gegebenenfalls zu korrigieren und zu ergänzen. Sie muss ferner fortlaufend aktualisiert werden und damit den jeweiligen Prozessstand stets zu erkennen geben. Die ganzheitliche Prozessplanung muss – insbesondere bei Großprojekten – für alle Prozessbeteiligten und die Öffentlichkeit leicht zugänglich sein. Dies kann vor allem durch deren Aufnahme in die städtischen Internetangebote mit begrenztem Aufwand effektiv realisiert werden.
Die dadurch entstehende Transparenz schützt den Gemeinderat und die Verwaltung auch vor eventuellen Vorhaltungen Dritter, man habe Entscheidungsprozesse nicht überblicken und folglich die Dringlichkeit des eigenen Handelns im Einzelfall nicht erkennen können.

Viertens: im Trialog zur Entscheidung
Das parlamentarische System Deutschlands und Baden-Württembergs baut auf die permanente Auseinandersetzung zwischen Regierung bzw. Regierungsfraktionen und Opposition in Grundsatzfragen ebenso wie bei Einzelentscheidungen. Diese Streitkultur sorgt für klare Positionen und Gegenpositionen.
Gemeinderäte sind keine Parlamente. Ihre Arbeit beruht deshalb auch nicht auf dem parlamentarischen Prinzip einer „konfrontativen Entscheidungsfindung“. Die Kommunalpolitik ist vielmehr – zumindest weit überwiegend – auf Konsens ausgerichtet.
Die kommunale demokratische Selbstverwaltung in Baden-Württemberg ähnelt damit der konsensualen Demokratie Schweizer Prägung. In der Gemeindeordnung findet dies in den Bestimmungen zur Beigeordnetenwahl Ausdruck. Bei der Besetzung dieser Stellen sollen nämlich „die Parteien und Wählervereinigungen gemäß ihren Vorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Sitze im Gemeinderat berücksichtigt werden“.
Bei der Bildung einer sogenannten „Stadtregierung“ sollen also ausdrücklich nicht nur jene Ratsfraktionen zum Zuge kommen, die die Mehrheit im Gemeinderat innehaben, sondern auch sogenannte „Oppositionsfraktionen“. Das entspricht übrigens dem Kollegialitätsprinzip zur Bildung von Schweizer Regierungen.
Die Kommunalverfassung bereitet den Boden für gemeinsames Agieren der Fraktionen in den Gemeinderäten, zumindest bei besonders wichtigen städtischen Angelegenheiten. Die Bürgerschaft lässt sich in dieses Verfahren der Entscheidungsfindung systemkonform einbinden. Der Dialog der städtischen Organe wird dadurch zum Trialog der Akteure Bürgerschaft, Gemeinderat und Verwaltung erweitert.
Aber: Konsens darf hierbei nicht mit unbedingter Einigkeit in Sachfragen und einstimmigen Beschlussfassungen in den Gemeinderäten verwechselt werden. Auch konsensorientierte Demokratie lebt vom Austausch – teils widersprechender – Argumente und endet gegebenenfalls in Mehrheitsvoten. Sie zielt dabei aber grundsätzlich nicht auf das Schließen der Reihen unter den Regierenden, sondern auf größtmögliche Einigkeit unter allen Beteiligten im Kompromissweg.

Das alles hört sich gut an, nur auf Weinheimer Verhältnisse „heruntergebrochen“, sieht es dann schon wieder ganz anders aus.
Wir, die WMD Mehr Demokratie Weinheim, haben uns gegründet, um diese Bürgerbeteiligung in Weinheim umzusetzen. Und wir haben schon viele, die mitmachen und hoffentlich auch viele, die noch mitmachen werden.
Allerdings bekommen wir eine Menge Gegenwind. In der Gemeinderatssitzung vom 31. Januar wurde es sehr deutlich, dass wir nicht mehrheitlich erwünscht sind. Ein Stadtrat meinte, man habe in der Vergangenheit schon genug Protestvereine gehabt. Da kann ich nur erwidern: Wir sind kein Protestverein, sondern eine Wählergemeinschaft mit klaren politischen Positionen. Ein weiterer Stadtrat merkte an, er wünsche sich die Zeit zurück, in der die starken etablierten Parteien im Gemeinderat vertreten waren. Meint er damit etwa, Politik machen wie im letzten Jahrhundert?
Aber den Vogel abgeschossen hat ein Stadtrat mit der Bemerkung, man müsse den grassierenden Politkannibalismus beenden. Ich weiß nicht, was genau er damit meint, aber liebe Freunde, Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dieser Stadtrat brachte in der GR-Sitzung vorgestern noch eine Steigerung: Er stimme dem Bürgerentscheid notgedrungen zu, aber „mit der geballten Faust in der Tasche“. Solche Sprüche wollen wir in einem Gemeinderat nicht hören; davon gibt es bereits zu viele aus einer anderen Richtung, signalisiert sie doch auch eine Gewaltbereitschaft.Wer einen von demokratischen Gesetzen ermöglichten Bürgerentscheid so geißelt, sollte einmal seine demokratische Tauglichkeit hinterfragen.

Und es gab noch einen unerfreulichen Vorfall: Anfangs der Gemeinderatssitzung in der letzten Woche erteilte mir der Oberbürgermeister Just durch seine persönliche Referentin Fotografierverbot mit der Begründung, ich sei Privatperson und ich würde die Persönlichkeitsrechte der Anwesenden verletzen.
Gleichzeitig aber wurden von anderen Fotografen Bilder gemacht, die man später in der Zeitung und im Internet bewundern konnte.
Dieses Fotografierverbot ist natürlich eine Farce, und ich werde mich auch nicht daran halten. Wenn der Oberbürgermeister nicht möchte, dass im GR und in den Ausschüssen fotografiert wird, muss er ein allgemeines Fotografierverbot in die Geschäftsordnung aufnehmen: entweder alle oder niemand.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde, ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesem kleinen Referat einige wenige Einblicke verschaffen, wie eine „Bürgerbeteiligung in der repräsentativen Demokratie“ realisiert werden kann, und ich freue mich auf eine anregende Diskussion im Anschluss.
Gleichzeitig möchte ich auch darauf hinweisen: Wer mithelfen will, kann Mitglied bei uns werden. Beitrittserklärungen liegen aus.
Und: Man kann für den Gemeinderat kandidieren oder auch später als Berater in den Ausschüssen fungieren.
Ebenso sind Spenden willkommen, unsere Schatzmeister Thomas Bosch wird sich freuen, denn ein Wahlkampf kostet Geld.

Vielen Dank.

Bürgerbeteiligung

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